Die Natursteinverwendung in Nieder-Ingelheim früher und heute - mehr als 1000 Jahre Stadtgeschichte - mehr als 100 Mio. Jahre Erdgeschichte

Steine können viel erzählen – zu diesem Schluss kommt man, wenn man den Ausführungen von Dr. Häfner folgt. Mit dem Bau der Eisenbahn war es möglich, etwa ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, Steine aus weiterem Umkreis nach Ingelheim zu holen. So wurde nicht nur der Flonheimer Sandstein verwendet, sondern zunehmend auch Kalk- oder Sandsteine aus verschiedenen Regionen Deutschlands, wie auch aus dem Ausland; außerdem Granite, Andesite (Basalt-ähnlich) und Porphyre, die hauptsächlich bei der Straßenpflasterung (Bild 9) Verwendung fanden.

 

Am Treffpunkt in der Kommerzienrat-Boehringer-Anlage (Bilder 1 - 4) angefangen mit dem Kriegerdenkmal, das bis zur Errichtung einige Schwierigkeiten zu überwinden hatte - unter anderem kollidierte die Eröffnungsfeierlichkeit mit der jährlich stattfindenden Messe des Jungfrauenvereins, daher nahm der Kath. Pfarrer nicht teil und auch der Stifter war aus geschäftlichen Gründen abwesend - führte uns Dr. Häfner durch die Jahrmillionen alte Geschichte der Steine, dabei wurde es nie langweilig.

 

Zur alten Markthalle (Bild 5) gab es auch einiges zu erzählen, bevor uns der Weg zur Remigiuskirche (Bilder 6 -7) führte. Hier sind, außer der Kirche selbst, auch zwei Grabanlagen (Bild 8) von ehemaligen Pfarrern interessant, deren Steine wohl  aus Skandinavien eingeführt wurden, weil es den Nachkommen der Verstorbenen so gefiel. Damit kommt auch die Mode, neben der Qualität, ins Spiel. Auch erwähnenswert ist der gusseiserne Brunnentrog an der Außenmauer der Kirche an der Belzerstrasse, der in der Gießerei der Gebrüder Puricelli, einer aus Italien eingewanderten Industriellenfamilie, in der Rheinböllerhütte hergestellt wurde.

 

Weiter führte uns der Weg zum Haus Mainzer Str. 40, dem ehemaligen Gasthaus „Zur Krone“ (Bild 11) mit schöner Sandsteingliederung, das 1871 errichtet wurde. Heute ist es unverputzt, aber in früheren Zeiten waren die Bruchsteine durch einen Putzüberzug geschützt. Direkt gegenüber eine neue Wohnanlage mit einer Fassadenbekleidung  aus Kalkstein der Jurazeit (ca. 150 Mio. Jahre alt), in dem sich noch zahlreiche Fossilien finden lassen. Lebendig wirkt die Fassade durch die unterschiedlich gestaltete Oberfläche der Natursteine: teilweise bruchrau gespalten, teilweise geschliffen.

 

Nun geht es zur Pestalozzischule (Bild 12), einem Gebäude aus Bruchsteinmauerwerk,  errichtet zwischen 1880 und 1913. Ein aufwändig gestalteter Bau, der ursprünglich als Volksbad diente. Hier finden sich ebenfalls verschiedene Steine, und auch die Verwendung von Beton, der in der Bauzeit aufkam, ist nicht ganz auszuschließen (Mode). Gegenüber an der Apotheke (Bild 13) finden sich im Sockelbreich Kalksteinplatten, die durch Umwelteinflüsse bereits stark in Mitleidenschaft gezogen wurden.

 

Auf dem François-Lachenal-Platz ein erstes Beispiel für roten Sandstein aus dem Maingebiet – der Marktbrunnen (Bild 14). Errichtet wurde er 1811 nach Plänen von Georg Arnold, damals Intendant der Straßen und Brücken im Departement Donnersberg (Mont Tonnere) und später Hessischer Oberbaudirektor. Ursprünglich wurde der Brunnen mit einer Umrandung aus massiven Steinpfosten, die mit aus Eisen geschmiedeten Kettengliedern verbunden werden sollten, geplant. Diese Umrandung kam aber wohl nicht zur Ausführung.

 

Bei der 2018 abgeschlossenen Neugestaltung des alten Rathauses (Bild 15) wurden mehrere Natursteine eingesetzt:  Der Fußboden im Innenbereich wurde mit thüringischem Travertin (ein Kalkstein) gestaltet, im Außenbereich wurde fränkischer Muschelkalk verlegt. Das Dach wurde mit spanischem Schiefer eingedeckt.

 

Das Eckhaus Im Saal / François-Lachenal-Platz (Bild 16) wurde mit Backstein gemauert, mit roten und gelben Klinkern ein Muster gesetzt, die Fensterumrahmungen mit rotem Sandstein aus dem Maingebiet ausgeführt. Die Renovierung der Fassade des Erdgeschoßes vor einigen Jahren war eine Herausforderung, da farblich passende Klinker nur schwer zu erhalten waren.

 

Im Saalkirchenbezirk wurde teilweise Pflaster aus portugiesischem Granit mit dem Handelsnamen „Grey-Yellow Alpendurada“ verlegt, ein magmatisches Tiefengestein aus der Karbonzeit. In der Umgebung der Saalkirche finden sich auch Pflasterplatten mit dem Handelsnamen „Travertino romano oniciato“ aus Tivoli Terme bei Rom, ein seit den Römerzeiten in Italien genutztes Gestein, aus dem auch der berühmte Trevibrunnen in Rom besteht.

 

Als Fazit kann man festhalten, dass auch die Geschichte von Steinen interessant erzählt werden kann. So hoffen wir auf weitere spannende Rundgänge durch die Ingelheimer Stadt-/ Steingeschichte.

 

Wir bedanken uns bei Dr. Häfner für diese tolle Führung und für die Unterstützung bei der Verfassung dieses Berichtes.